Die Deutschen müssen Energie sparen - wie kalt darf es am Arbeitsplatz sein? (Urheber/Quelle/Verbreiter: Hauke-Christian Dittrich/dpa)

Im Winter die Heizung etwas herunterdrehen, im Sommer die Klimaanlage: In vielen Büros und Werkshallen könnten sich die gewohnten Temperaturen ändern, damit Deutschland mehr Erdgas und Strom übrig behält.

Hintergrund ist die Energiekrise aus möglichem russischen Gas-Lieferstopp und wackligen Speicherständen. Die Einspar-Appelle weiten sich von Produktion und Privathaushalten auf die Arbeitswelt von Millionen Menschen aus. Ob und wie sich neue Regeln durchsetzen ließen, wird jedoch ebenso energisch debattiert.

Wärmer anziehen im Büro

«Jedes Grad zählt», sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Peter Adrian, der Deutschen Presse-Agentur. Es gelte daher, auch über die nötigen Mindesttemperaturen im Job nachzudenken. «In meiner Lagerhalle muss ich entweder 17 oder 19 Grad garantieren – je nachdem, in welchem Ausmaß dort gelegentlich auch Menschen arbeiten. Das geht vielleicht auch mit etwas weniger.» In Büros könne man ebenfalls leicht am Regler drehen, findet Adrian. «Dann muss man sich gegebenenfalls ein bisschen wärmer anziehen.»

Das Bundesarbeitsministerium prüft mit dem Wirtschaftsministerium «Lösungsansätze», wie bei Eintreten eines Gasnotstands der Zwang zu stärkerem Energiesparen mit dem Gesundheitsschutz der Belegschaften in Einklang gebracht werden könnte. Die dritte und höchste Warnstufe musste Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) bisher nicht ausrufen. Im Fall großer wegbrechender Gasmengen dürfte dieser Schritt dazu führen, dass zuerst in der Industrie rationiert werden muss – und manche Firmen ihren Betrieb sogar ganz aussetzen.

Die Wirtschaft hat also ein unmittelbares Interesse daran, es nicht zum Schlimmsten kommen zu lassen. Dass dabei nun aber Arbeitsräume und -bedingungen in den Blickpunkt geraten, stimmt den Deutschen Gewerkschaftsbund etwas argwöhnisch. Pauschale Veränderungen der Temperatur jedenfalls seien schwer denkbar, so Vorständin Anja Piel.

Der Winter könnte hart werden

Denn Job sei nicht gleich Job. Zudem müsse die energetische Sanierung vorankommen. «Beschäftigten Frieren oder dicke Pullover zu verordnen, ist verantwortungslos», meint Piel. Und: «Die Debatte um die Frage „Wie kalt geht’s am Arbeitsplatz?“ ist überflüssig und nicht zielführend.» Maßgeblich seien im geltenden Arbeitsschutzrecht nämlich «flexible Richtwerte für die untere Temperaturgrenze».

Die unteren Schwellen sind in einer sogenannten Technischen Regel festgelegt. Demnach sollen die Mindestwerte der Lufttemperatur je nach Schwere der Tätigkeit zwischen 12 und 20 Grad Celsius betragen. 12 Grad gelten für harte körperliche Arbeiten, für physisch weniger Anstrengendes 17 bis 20 Grad. In Pausen-, Bereitschafts-, Sanitär-, Kantinen- und Erste-Hilfe-Räumen müssen bei der Nutzung wenigstens 21 Grad herrschen. Aus dem Arbeitsministerium hieß es: «Verbindliche Vorgaben für den Fall eines Gasnotstands trifft diese Regel nicht.»

Der DIHK-Chef warb um Verständnis. Man müsse Regelungen neu bewerten. «Dazu gehören Vorschriften, Werkstätten, Büros und selbst Lagerhallen auf bestimmte Temperaturen zu heizen. Die Werte schreibt die Arbeitsstättenverordnung vor, auch wenn Menschen, die dort arbeiten, mit weniger auskommen wollen.» Die Internationale Energieagentur warnte: «Dieser Winter wird in Europa sehr, sehr schwierig werden.»

Ein wenig erinnert die Auseinandersetzung an die akute Corona-Krise, als es – wenngleich mit ganz anderer Begründung – monatelang um die Frage des Lüftens ging. Vor allem in den Schulen mussten bei geöffnetem Fenster die Jacken und Pullover herausgeholt werden. Der Versuch, die Bedingungen etwa durch Luftfilteranlagen zu verbessern, scheiterte dagegen oft. Nun geht es um Gas- und Stromsparen statt um Virusbekämpfung. Aber wieder stehen Arbeits- und Lernorte im Zentrum.

In manchen Unternehmen sind die Überlegungen ein Thema, zu genauen Plänen hält man sich wegen der Unwägbarkeiten aber noch eher bedeckt. So erklärte die Deutsche Telekom, die gültige Richtlinie schreibe zum Beispiel bei leichten Arbeiten im Sitzen eine Mindesttemperatur von 20 Grad vor. «Sollten sich auch vorübergehende Veränderungen an der Verordnung ergeben, würden wir diese natürlich berücksichtigen.» Beim Konsumgüterhersteller Henkel fließt im Sommer der geringere Teil des Energiebedarfs in Bürogebäude. «Für den Herbst/Winter beschäftigen wir uns mit verschiedenen möglichen Szenarien – je nachdem, wie sich die Gasversorgung im weiteren Jahresverlauf darstellt.»

Rewe als große Supermarktkette prüft die Frage, ob die Temperatur in den Geschäften etwas sinken könne. «Es muss noch geklärt werden, was zumutbar ist und was das bringt», hieß es. Das Unternehmen treibe aber weniger das oft gasintensive Heizen als das oft stromintensive Kühlen um – da lasse sich kaum sparen. Der Softwarekonzern SAP hat keine Zusatzmaßnahmen ergriffen, auch weil viele Beschäftigte im Homeoffice sind. Für die kommende Heizperiode strebt man 21 bis 22 Grad in Büroräumen an, wegen der überwiegend sitzenden Tätigkeiten.

Der Autozulieferer Continental erklärt: «Wir prüfen, wie und ob über die Regelung der Raumtemperatur an den Arbeitsplätzen Energie gespart werden kann.» Viele verweisen darauf, das Thema mit den Betriebsräten besprechen zu wollen – das ist etwa bei VW der Fall. Unter den Metallarbeitgebern in Niedersachsen gibt es noch keine klare Linie.

Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf, der auch den baden-württembergischen Zulieferer ElringKlinger leitet, glaubt, die Führung müsse mit gutem Beispiel vorangehen. Er habe zu Hause Beleuchtung und Bewässerung im Garten ausgestellt. «Wenn ich kein Vorbild bin, kann ich das auch von meinen Mitarbeitern nicht erwarten.» In der Firma sei schon im April die Innentemperatur auf 18 Grad gesenkt worden. Zwei Wochen sei es im Büro «ganz schön zapfig» gewesen – süddeutsch für: «ziemlich kalt».

Von Jan Petermann und Andreas Hoenig, dpa

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