Christian M. Goldbeck (l-r), Edward Berger und James Friend feiern nach der Oscar-Verleihung beim Governors Ball. (Urheber/Quelle/Verbreiter: John Locher/Invision/AP)

Von wegen im Westen nichts Neues: Nie zuvor hat ein deutscher Film bei den Oscars in Los Angeles so viel gewonnen wie die Netflix-Produktion «Im Westen nichts Neues». Das zweieinhalbstündige Antikriegsepos von Edward Berger siegte beim wichtigsten Filmpreis der Welt in vier Kategorien.

Bei sensationellen neun Nominierungen holte die Literaturverfilmung in der Nacht zum Montag in Hollywood die Trophäen für Musik, Kamera, Szenenbild und als bester internationaler Film.

«Mehr als wir uns je erhofft haben»

«Was ich wahnsinnig schön finde – dass es vier Oscars sind. Das ist natürlich mehr als wir uns je erhofft haben. Wir haben mit einem gehofft», sagt Regisseur Berger nach der Oscar-Gala, die diesmal ohne Ohrfeige auf offener Bühne vonstatten ging. Dafür bescherte sie aber zum Beispiel erstmals einer Asiatin den Hauptdarstellerinnen-Oscar: Michelle Yeoh für «Everything Everywhere All at Once».

«Im Westen nichts Neues» erzählt von dem Grauen des Ersten Weltkriegs aus der Sicht eines jungen Soldaten. Der 17-jährige Paul (gespielt vom Österreicher Felix Kammerer) zieht mit seinen Freunden voller Stolz an die Westfront. Diese ist 1917 allerdings längst in einem Stellungskrieg erstarrt. In den Schützengräben Nordfrankreichs trifft Paul und seine Kameraden die Gewalt des Krieges mit voller Wucht. Statt Siege zu feiern, kämpfen die jungen Männer ums Überleben.

Zuvor hatte der Film sieben Bafta-Preise in London gewonnen. Es sei beeindruckend, welche Ehre dem Film aus England und den USA zuteil werde: «Das hat es so noch nicht gegeben. Es ist ein Stück Filmgeschichte», begeisterte sich schon vor den Oscars der Schauspieler Daniel Brühl. Er spielt den um einen Waffenstillstand kämpfenden deutschen Politiker Matthias Erzberger.

Erste deutschsprachige Verfilmung

Nach der amerikanischen Verfilmung, die 1930 zwei Oscars gewann, hat Regisseur Berger die erste deutschsprachige Verfilmung des Romans von Erich Maria Remarque geschaffen. Das letzte Mal, dass ein deutscher Film im Ausland derart im Fokus stand, war wohl 1983, als «Das Boot» von Wolfgang Petersen für sechs Oscars nominiert war. Der Antikriegsfilm über den Zweiten Weltkrieg gewann dann aber keinen einzigen.

Zuletzt nahm 2007 mit dem Stasi-Drama «Das Leben der Anderen» eine deutsche Produktion den Oscar als bester internationaler Film (damals noch «bester nicht-englischsprachiger Film») mit nach Hause.

«Im Westen nichts Neues» ist drastisch und brutal. Man sieht viele Todesarten. Menschen verbrennen in Flammenwerfern, ersticken im Giftgas. In einer Kampfszene stirbt ein verblutender Soldat mit Dreck im Mund. Die Berliner Maskenbildnerin Heike Merker stellte dafür aus zerdrückten Keksen und Müsli, mit Lebensmittelpigmenten eingefärbt, essbare Erde her.

Die Kamera (Oscar-Gewinner James Friend) gleitet über den Schlamm des Schützengrabens, ist ganz nah an den Gesichtern der Soldaten. Dann wieder schwebt sie über dem Geschehen, zeigt uns von oben die mit Leichen übersäten Schlachtfelder. Und dazwischen Naturaufnahmen und Ruhe – Sonnenlicht, das durch Winterbäume strahlt, ein plätschernder Bach.

Im Gedächtnis bleibt die markerschütternde Filmmusik des ausgezeichneten Komponisten Volker Bertelmann alias Hauschka. Eine dreitönige, düster verzerrte Harmonium-Melodie zieht sich als Motiv durch den Film.

Im Ausland gefeiert

Während das Drama in Deutschland für seinen Fokus auf monumentale Bilder und die vielen Abweichungen von der literarischen Vorlage von Erich Maria Remarque auch kritisiert wurde, ist «Im Westen nichts Neues» im Ausland ein Renner.

Dazu trug auch die Verbreitung über Netflix bei. Bei dem Streamingdienst wird der Film unter den nicht-englischsprachigen Produktionen als vierterfolgreichster überhaupt geführt. Und die Statistik bezieht sich nur auf die ersten vier Wochen nach Veröffentlichung.

Sicherlich hat der Erfolg dieses Antikriegsfilms auch etwas mit dem aktuellen Kriegsgeschehen in der Ukraine zu tun – auch wenn «Im Westen nichts Neues» schon 2021 fertig gedreht war und einen Krieg zeigt, der sich politisch mit dem jetzigen nicht vergleichen lässt. Angesichts des starrer werdenden Frontverlaufs in der Ukraine werden allerdings immer häufiger Parallelen zu der Art von Kriegsführung gezogen, wie sie in «Im Westen nichts Neues» zu sehen ist.

Doch die Oscar-Nacht ruft ins Gedächtnis, dass deutsche Filmemacher und Filmtechniker auch ganz allgemein im Ausland wertgeschätzt werden. Vielleicht, so ist nun die Hoffnung vieler, dauert es nicht wieder 16 Jahre, bis ein deutscher Film mindestens einen der begehrten Goldjungs nach Deutschland holt.

Von Barbara Munker, Lisa Forster und Gregor Tholl, dpa

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