Mit der einen Hand das Kind auf der Schaukel anschubsen, mit der anderen schnell die Mails auf dem Diensthandy checken. Oder beim Arzttermin mit dem pflegebedürftigen Vater noch eben die Nachricht einer Kollegin beantworten. So sieht der Alltag für viele Berufstätige aus – sie finden nach Feierabend keinen echten Abschluss vom Arbeitstag. 

Das kann besonders anstrengend sein, wenn Menschen neben der Erwerbsarbeit noch eine andere Rolle oder Aufgabe ausfüllen – etwa als Elternteil oder pflegende Angehörige. Wer aber dauerhaft nicht abschalten kann, riskiert gesundheitliche Folgen. Welche Strategien helfen also, die Arbeit aus dem Kopf zu bekommen und Übergänge besser zu gestalten? 

6 Ansätze zum Ausprobieren:

1. Realistisch bleiben

Besonders Menschen mit Mehrfachbelastungen, zum Beispiel durch Kinderbetreuung oder die Pflege von Angehörigen, können nach der Lohnerwerbszeit nicht einfach abschalten. Für sie beginnt dann die Care-Arbeitszeit. Viele verurteilen sich dafür, während des Übergangs von der einen in die andere Rolle keinen besseren Umgang mit Stress zu finden, erzählt Stephanie Warsow, Trainerin und Coachin für Stressmanagement und Burnout-Prophylaxe in Berlin.

«Es hilft zu wissen, dass man damit nicht alleine ist», sagt Warsow. Stress betrachtet die Coachin vor allem als strukturelles Problem. Es könne nur sehr begrenzt individuell bearbeitet und gelöst werden. Diese Erkenntnis nehme zumindest etwas den Druck. «Außerdem müssen wir Erschöpfung entstigmatisieren und es uns erlauben, vom Tag geschafft zu sein», sagt Warsow.

2. Aus der Abwärtsspirale aussteigen

Ist der Stress Dauerzustand, kann sich das Risiko für psychische Erkrankungen oder körperliche Beschwerden erhöhen. Auf Dauer gerät mitunter das ganze System in eine Schieflage – etwa weil man häufig schlecht schläft. 

«Umso schneller sind Menschen gereizt», sagt Marcel Kern, Junior-Professor im Fach Angewandte Psychologie in Arbeit und Gesundheit an der Ruhr-Universität Bochum. Die Folgeeffekte. «Wir starten mit weniger Power in den Tag, nehmen Stress noch stärker wahr und schlafen wieder schlecht.» Diese Abwärtsspirale wirkt sich auch aufs Privatleben aus.

Coachin Stephanie Warsow empfiehlt hier, Stressmanagement ganzheitlich zu denken, statt Arbeit und Privatleben zu trennen. Entspannung sollte nicht nur auf den Feierabend warten, sondern bereits während der Arbeit beginnen – etwa in Form eines kleinen Entspannungsimpulses als Ausgleich zu stressigen Meetings. 

«Man könnte beispielsweise Spannung in die Muskeln bringen, bis sie zittern und dann bewusst loslassen, über drei, vier Runden hinweg», sagt sie. Das signalisiere dem Körper, dass eine Situation, die als Gefahr gewertet wurde, nun vorbei ist.

3. Glaubenssätze über Bord werfen

Viele haben verfestigte Glaubenssätze, wie der Feierabend oder der Haushalt auszusehen hat – das erlebt Stephanie Warsow in ihrer praktischen Arbeit als Coachin häufig. Der Stress nach der Lohnarbeit wird so noch verstärkt. Sie empfiehlt, sich genau anzuschauen, was man wirklich erledigen muss, um den Kopf freier zu haben. Gleichzeitig kann ein Digital Detox hilfreich sein, um mehr Ruhe in die Zeit nach der Arbeit zu bringen.

Dass es einen tatsächlichen Effekt hat, Smartphone und Laptop öfter auszuschalten, kennt Marcel Kern aus der Forschung. «Alleine ein Smartphone, das in der Nähe liegt, lenkt uns ab – auch im Privatleben», so der Arbeitspsychologe. 

Er betrachtet die heutige Handynutzung als eine Art Sucht. Um davon loszukommen, brauche es einen guten Plan. Am besten sei es, sich Limits zu setzen, sagt er. Die Nutzungszeiten schrittweise zu reduzieren, erhöhe die Wahrscheinlichkeit, sich daranzuhalten.

4. Übergänge aktiv gestalten

Um gut von einer Rolle in die nächste zu kommen, zum Beispiel von der Rolle als Angestellter zu der als Pflegender, können Übergangsrituale helfen. Menschen, die pendeln, haben es laut Arbeitspsychologe Marcel Kern etwas einfacher. 

«Der tägliche Weg ist nützlich, um sich wie einen Rechner hoch- und nach dem Job wieder runterzufahren», sagt er. Erleichtert werde das zum Beispiel durch die Lektüre eines Romans oder das Telefonat mit einer Freundin. Das sei individuell, so Kern.

Doch auch wenn es – wie im Homeoffice – keine Übergangszeit gibt, lassen sich unterstützende Rituale schaffen. Stephanie Warsow schlägt zum Beispiel einen Kleidungswechsel, einen Tanz oder auch Stoßlüften vor. «Wichtig ist, dem System bewusst zu signalisieren, dass nun ein Übergang stattfindet.»

5. Einen Erste-Hilfe-Koffer packen

In akuten Stresssituationen sind viele überfordert und haben Schwierigkeiten, sich selbst zu regulieren. Da hilft gute Vorbereitung. «Wenn wir uns schneiden, kleben wir ein Pflaster drauf. Für sozial-emotionale Themen können wir auch eine Art Verbandskasten packen», sagt Stephanie Warsow. 

Enthalten sein kann ein beruhigend wirkendes Bild vom letzten Urlaub. Doch auch ein Duft, ein Lieblingslied oder positiv formulierte Sätze dürfen Teil eines solchen Erste-Hilfe-Koffers sein. «Da steht dann zum Beispiel drauf: ‚Ich erlaube mir Fehler zu machen und daraus zu lernen’», so Warsow.

6. Mut zum Scheitern beweisen

Am wichtigsten bei alledem: Sich nicht unter Druck setzen, es vermeintlich richtigzumachen. Keine Methode funktioniert für alle. Darin sind sich Arbeitspsychologe Marcel Kern und Coachin Stephanie Warsow einig. «Viele bringt das Einatmen, Ausatmen zum Stressabbau auf die Palme – dann sollte man besser etwas anderes machen, zum Beispiel Sport, Spaziergänge und Musik hören», so Kern. 

Es lohne sich, verschiedene Dinge ausprobieren und sich selbst dabei zu beobachten, was hilft. Dafür plädiert auch Stephanie Warsow. Gesellschaftliche Strukturen könne man zwar nicht aufbrechen. «Aber kleine Impulse geben uns zumindest ein Gefühl von Handhabbarkeit.»