Claus Weselsky, Vorsitzender der Gewerkschaft der Lokführer (GDL), spricht auf einer Kundgebung seiner Gewerkschaft vor dem Hauptbahnhof in Leipzig. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild/dpa)

Im Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn geht es längst nicht mehr nur um Gehalt und Betriebsrenten für die Beschäftigten.

Ungeachtet eines verbesserten Angebots der Konzernleitung hat die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) ihre dritte Streikwelle fortgesetzt und weitere Verhandlungen abgelehnt. Die Bahn will nun von den Arbeitsgerichten überprüfen lassen, ob der GDL-Streik rechtmäßig ist.

GDL-Chef Claus Weselsky wies die nachgebesserte Bahn-Offerte zurück, weil sie nicht für alle GDL-Mitglieder gelten solle. Nach seiner Darstellung verlangt der Staatskonzern, den Geltungsbereich eines neuen Tarifvertrags wie bislang auf das Fahrpersonal zu begrenzen. «Damit wird klar erkennbar, dass die DB einem Teil der GDL-Mitglieder ihre verfassungsgemäßen Rechte entziehen will», sagte der Gewerkschafter dem «Spiegel». Damit drohe eine Spaltung der Gewerkschaft mit Mitgliedern erster und zweiter Klasse.

«Die Zielsetzung des Bahnvorstandes ist die Existenzvernichtung der GDL», hatte Weselsky bereits am Morgen in Leipzig erklärt. Mit ihren rund 38.000 Mitgliedern sieht sich die GDL im scharfen Wettstreit mit der größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG. Nach dem 2015 verabschiedeten Tarifeinheitsgesetz soll bei zwei Gewerkschaften in einem Betrieb nur der Tarifvertrag der größeren Arbeitnehmervertretung angewendet werden. «Ein Betrieb – ein Tarifvertrag» wird dieser Grundsatz genannt. In einem Großteil der rund 300 Bahnbetriebe ist das aus Sicht der Bahn die EVG.

Erinnerungen an 2014 und 2015

Die eigentlich im Fahrbetrieb verankerte GDL sieht sich gezwungen, ihren Einfluss auch auf andere Konzerntöchter auszuweiten – und will die Bedingungen für Werkstattbeschäftigte nun ebenso regeln wie für Angestellte in der Verwaltung oder der Bahn-Infrastruktur. Das erinnert an die Auseinandersetzungen in den Jahren 2014/2015. Damals wollte die Gewerkschaft ihre Tarifhoheit auf Zugbegleiter und Rangierlokführer ausdehnen – und hatte damit nach acht Streikwellen auch Erfolg.

Die Bahn vermutet hinter dem Fünf-Tage-Streik der GDL politische und juristische Zielsetzungen, die in einem Tarifvertrag nicht regelbar seien. Auch im November 2014 klagte die Bahn gegen laufende Streiks der GDL in der damaligen Tarifrunde. Damals argumentierte die Bahn, dass der Arbeitskampf unverhältnismäßig hohen Schaden anrichte – vergeblich. Die GDL siegte in zwei Instanzen der Arbeitsgerichte in Frankfurt.

Gewerkschaftschef Weselsky brach nach dem Triumph überraschend den laufenden Streik ab. Damals erklärte er: «Ich stehe an dieser Stelle nicht als Sieger, sondern als derjenige, der die Grundrechte der Lokomotivführer und der Zugbegleiter verteidigt hat.»

Verhandlung beginnt am Abend

Nun könnte sich die Geschichte wiederholen. Noch heute Abend (18.00 Uhr) wollte das Arbeitsgericht Frankfurt mit der Verhandlung über eine einstweilige Verfügung gegen den Streik beginnen. «Das Streikrecht ist ein hohes Gut. Allerdings sind Streiks nur dann zulässig, wenn sie sich im Rahmen des geltenden Rechts bewegen. Das ist nach unserer Auffassung bei den Streiks der GDL nicht der Fall», sagte Bahn-Personalvorstand Martin Seiler.

Im «Spiegel»-Interview gab sich der GDL-Chef siegessicher: «Was kann man uns vorwerfen? Unsere Forderungen liegen seit Mai auf dem Tisch, bisher scheint es so, als hätten wir alles richtig gemacht. 2015 haben wir 109 Stunden am Stück gestreikt.» Das hätten die Gerichte für zulässig gehalten.

Seit dem Donnerstagmorgen läuft die dritte, auf 120 Stunden im Personenverkehr angelegte Streikrunde der GDL. Die Bahn hatte der Gewerkschaft am Mittwochnachmittag ein neues Angebot unterbreitet und darin eine wichtige Forderung aufgegriffen: Noch in diesem Jahr sollen die Beschäftigten eine Corona-Prämie bis zu 600 Euro erhalten. Weselsky lehnt das Angebot auch inhaltlich ab und moniert etwa, dass es in diesem Jahr keine Lohnerhöhung geben soll.

Aus Sicht des Tarifexperten Hagen Lesch vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft kämpft die GDL erneut um ihren Status als Tarifpartner der Bahn. Demnach hätte Weselsky den Status quo bereits im vergangenen Jahr absichern können, als die Gewerkschaft einer Schlichtung zugestimmt hatte, die schließlich scheiterte. Dann hätte man erneut eine Regelung wie 2015 finden können, mit der die Koexistenz von EVG und GDL abgesichert worden war – unter Verzicht auf die Regelungen des Tarifeinheitsgesetzes.

Fahrgäste können nur abwarten

Ob die GDL den Arbeitskampf wie angekündigt bis Dienstagmorgen durchziehen kann, ist nun Sache der Justiz. Einstweilige Verfügungen gegen Streiks werden von deutschen Gerichten allerdings sehr selten verhängt.

Ein Beispiel ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Frankfurt, das im September 2015 in zweiter Instanz einen Streik der Vereinigung Cockpit bei der Lufthansa stoppte. Die Piloten hätten gegen die Verlagerung von Stellen an die Tochter Eurowings gestreikt, was tariflich gar nicht regelbar sei, hatte der Vorsitzende Richter Michael Horcher damals befunden.

Den Fahrgästen bleibt nichts anderes übrig als abzuwarten. Der Ersatzfahrplan sei am ersten Streikmorgen im Personenverkehr stabil angelaufen, teilte die Bahn mit. Das Unternehmen will erneut rund ein Viertel der Fernzüge fahren lassen. Im Regional- und S-Bahnverkehr wird ein Grundangebot von 40 Prozent angestrebt. «Die Streikschwerpunkte liegen im Osten und in einigen Metropolregionen. Insbesondere hier kommt es zu stärkeren Einschränkungen.»

Von Christian Ebner und Matthias Arnold, dpa

Von