«One Deep River»: Mark Knopfler vor der Tyne Bridge. (Urheber/Quelle/Verbreiter: -/Universal Music/dpa)

In der Öffentlichkeit macht sich Mark Knopfler meist rar. Aber wenn der ehemalige Dire-Straits-Frontmann irgendwo auftritt, ist das Interesse stets groß. So wie im Februar, als beim Londoner Auktionshaus Christie’s rund 120 Gitarren aus seinem Besitz versteigert wurden. Mehr als 10 Millionen Euro erzielten die Instrumente. Glücklicherweise hat sich Knopfler nicht von allen getrennt. Für sein neues Album «One Deep River» hatte er noch genügend Gitarren in seinem Studio. Ein paar neue kamen dazu.

Mehr als fünf Jahre sind seit seinem letzten Album «Down The Road Wherever» vergangen, sein letztes Konzert ist viereinhalb Jahre her. Es hat Knopfler in den Fingern gejuckt, wieder Musik zu machen. «Ja, natürlich», sagt der 74-Jährige im Gespräch der Deutschen Presse-Agentur in seinem Studio British Grove in West-London. Eilig habe er es jedoch nicht gehabt. «Ich bin in einer privilegierten Position. Wenn du ein eigenes Studio hast, kann dich niemand rausschmeißen. Es ist ziemlich gut, wenn man einen Ort zum Arbeiten hat.»

Ideen zu neuen Liedern habe er andauernd. «Ich hatte viel zu viele Songs», erzählt er. «Ich kann mich nicht erinnern, wie viele Songs wir aufgenommen haben. Vielleicht 25 oder 30. Ich weiß es nicht. Aber es waren auf jeden Fall zu viele.» Ein Dutzend sind auf «One Deep River», seinem zehnten Studioalbum, gelandet. Weitere will er zu einem späteren Zeitpunkt auf einer EP veröffentlichen.

Er führt mit leuchtenden Augen durch sein Studio

Knopfler hat die LP wieder mit seinem langjährigen Kollaborateur, früheren Dire-Straits-Kollegen und Freund Guy Fletcher koproduziert. «Guy zu haben, ist ein Vorteil. Guy und ich können jederzeit (ins Studio) schleichen und arbeiten, dafür brauche ich nicht jedes Mal eine Bandsession. Aber wenn die Bandsessions dann losgehen, sind sie der Höhepunkt. Das sind sie wirklich. Für alle.» Die Augen von Knopfler, der ansonsten ruhig und unaufgeregt spricht, leuchten, während er das sagt. «Da fühlt man sich wirklich privilegiert. Man hat diesen Raum, ein Mann in jeder Ecke, und es ist phänomenal.»

Plötzlich steht der optisch unscheinbare Musiker auf. Bevor er über sein neues Album spricht, zeigt er sein geliebtes Studio und die zum Teil historische Ausstattung. «Dies ist ein EMI-Redd-Mischpult, wie es die Beatles hatten», erklärt der 74-Jährige. Weiter geht es mit einem Pult, das Paul McCartney und Wings einst für die Aufnahmen ihres Albums «Band On The Run» verwendeten. «Es ist das Original.» Zehn Minuten dauert die Führung, in der Knopflers Leidenschaft für die Musik und die Aufnahmetechnik deutlich wird.

Die Bogenbrücke über den Tyne

Der in Glasgow geborene Knopfler wuchs im Nord-Osten Englands im Örtchen Blyth nahe Newcastle auf, in einer Region, aus der auch Musikergrößen wie Hank Marvin, Eric Burdon, Sting und AC/DC-Sänger Brian Johnson stammen. Das Albumcover von «One Deep River» ziert die berühmte Bogenbrücke über den Tyne, den tiefen Fluss, an dem Newcastle liegt. Die Kindheit als Geordie – so nennt man die Menschen, die aus der Region Tyne and Wear stammen – habe ihn geprägt. Dort zu bleiben kam für ihn jedoch nicht in Frage.

«Ich glaube, das Gefühl, den Tyne zu überqueren, ist für mich zu etwas Symbolischem geworden», erzählt der Gitarrenvirtuose, der seit Langem mit seiner Familie in London lebt. «Das ländliche England zu verlassen und in London oder New York zu leben, der Gedanke dahinter war rauszukommen. Gestern Abend habe ich ein paar Freunde aus Newcastle getroffen. Die kennen jede Straße, wie Rallyefahrer, sie kennen jedes Schlagloch und werden ihre Heimat nie verlassen. Und so bin ich nicht.»

Song voller Melancholie und Fernweh

Nach so langer Zeit klingt die neue Musik von Mark Knopfler angenehm vertraut. Dieser markante Gitarrensound und die warme, sanfte Bariton-Stimme prägten Welthits wie «Sultans Of Swing» oder «Brothers In Arms». Die neuen Lieder sind gewohnt unbeschwert, fast gemütlich und dabei voller Melancholie, Nostalgie und Fernweh. «That’s my train coming, I can hear the whistle blow», singt der Songpoet in «Before My Train Comes» zu sanfter Slide-Gitarre.

Knopfler erzählt unterschiedliche kleine Geschichten, nicht nur aus dem Nord-Osten Englands. Er singt von Gehversuchen als Musiker («Two Pairs Of Hands», «Ahead Of The Game»), der Arbeit auf einem Schrottplatz («Scavenger’s Yard») und dem Eisenbahnraub in Oregon vor rund 100 Jahren («Tunnel 13»). Stilistisch mischt er dabei wie gewohnt Einflüsse aus Blues, Folk, Country und Rock’n’Roll mit starkem Americana-Einschlag. Ein Höhepunkt ist «Sweeter Than The Rain». Die Western-Ballade erinnert an den großen Johnny Cash.

Mark Knopflers Leidenschaft für die Gitarre, die in seiner Kindheit durch Hank Marvin und dessen Band The Shadows geweckt wurde, ist ungebrochen. Auf «One Deep River» sind auch ganz neu angeschaffte Instrumente zu hören. «Ich habe eine kleine Gitarre gefunden, die ich auf vier oder fünf Songs des Albums spiele», verriet er am Rande der Christie’s-Auktion. Auch wenn er sich von einem beachtlichen Teil seiner riesigen Kollektion verabschiedet hat, werde er weiter Gitarren sammeln, versichert Knopfler. «Das hört nie auf.»

Von Philip Dethlefs, dpa

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